ALKOHOL

Dass Alkohol am Arbeitsplatz nichts zu suchen hat, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, wenn man von seltenen Berufsbildern absieht, bei denen der Kontakt mit Alkohol vom Arbeitgeber sogar ausdrücklich gewünscht wird (z.B. Weinverkoster).

Im Arbeitsrecht gibt es allerdings kein absolutes Alkoholverbot. Insbesondere in den arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzesbuches (BGB), den §§ 611 ff. BGB, sucht man vergeblich nach einer Norm, die es Arbeitnehmern generell verbietet, während der Arbeit Alkohol zu konsumieren. Ohne ein betriebliches Alkoholverbot liegt deshalb ein Kündigungsgrund grundsätzlich nur dann vor, wenn der Alkoholgenuss die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers negativ beeinflusst oder eine spezifische Gefahrenquelle schafft. Mit anderen Worten: Solange er seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag ordnungsgemäß erfüllt, kann und darf ein Arbeitnehmer während der Arbeitszeit Alkohol trinken, soweit keinerlei betrieblichen Sondervereinbarungen bestehen. Der bloße Alkoholkonsum ohne Auswirkungen auf die vertraglich geschuldete Leistung kann nur dann kündigungsrechtlich relevant sein, wenn für bestimmte Tätigkeiten die Einhaltung von Grenzwerten der Blutalkoholkonzentration (BAK) zu beachten ist, etwa bei Kfz-Fahrern oder Flugkapitänen.

Im geltenden Kündigungsrecht ist vor allem nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zwingend zu danach unterscheiden, ob lediglich ein Fall des bloßen Alkoholkonsums vorliegt oder ob eine Alkoholerkrankung des Arbeitnehmers gegeben ist.

Beruht die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers wegen Alkoholisierung im Betrieb nicht auf einer Alkoholabhängigkeit (bloßer Alkoholkonsum), kommt nach erfolgloser Abmahnung regelmäßig eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht. Hierbei können allerdings im Einzelfall gewisse Umstände zu Gunsten oder zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein. Unter anderem kann die innerbetriebliche Stellung (etwa als Vorgesetzter), der Anlass (z.B. Rosenmontag) oder der Faktor, dass die dem Arbeitnehmer übertragene Tätigkeit mit besonderen Gefahren verbunden ist, von Bedeutung sein. Außerdem sind regionale („Mittagsbier“ in Bayern) und branchenspezifische Besonderheiten zu beachten. Besonderheiten gelten bei Berufskraftfahrern.

Nach einer Grundsatzentscheidung des BAG aus dem Jahre 1987 kommt eine Kündigung nur als eine krankheitsbedingte Kündigung in Betracht, wenn der Arbeitnehmer erwiesenermaßen alkoholkrank ist (BAG, Urteil vom 09.04.1987 – 2 AZR 210/86 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 18 = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Da Alkoholismus auch nach Auffassung der Rechtsprechung eine Krankheit ist, kann der Arbeitgeber das mit dem Alkoholiker bestehende Arbeitsverhältnis nur ordentlich kündigen, wenn die strengen Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung erfüllt sind. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Zukunftsprognose zu. Entscheidend ist dabei die Frage, ob und inwieweit der kranke Arbeitnehmer die ernsthafte Bereitschaft erkennen lässt, sich einer Entziehungskur zu unterziehen, um so seine unheilbare Erkrankung im Sinne einer dauerhaften Abstinzenz besser bewältigen zu können. Demzufolge ist eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung wegen Alkoholsucht nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich auch ein anderer vernünftig denkender Arbeitgeber unter Berücksichtigung erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten wegen Alkoholismus auf Grund einer negativen Zukunftsprognose und einer Störung des Betriebsablaufs von dem Arbeitnehmer getrennt hätte (ArbG Frankfurt, Urteil vom 01.10.1999 – 7 Ca 3937/99). Folgerichtig muss im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung eine negative Prognose im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Entwicklung des alkoholkranken Arbeitnehmers bestehen. Dies bedarf vor allem der Feststellung, ob damit gerechnet werden muss, dass der alkoholkranke Arbeitnehmer einen Rückfall erleidet. Insoweit kann sich der Arbeitgeber nicht auf die allgemeinen Statistiken berufen, auch wenn diese besagen, dass innerhalb von vier Jahren zwischen 50 % und 80 % aller Patienten wieder rückfällig werden. Die Gerichte erwarten stattdessen eine auf die Person des Arbeitnehmers bezogene Einzelfallprognose. Diese Prognose hängt unter anderem von der Dauer einer durchgeführten Therapie ab, da in medizinischer Hinsicht anerkannt ist, dass in Fällen des chronischen Alkoholismus im Zweifel nur eine Langzeittherapie Erfolg verspricht. Dementsprechend hat das BAG eine dreiwöchige Entziehungskur für die Annahme einer positiven Gesundheitsprognose als nicht ausreichend angesehen. Zur Begründung wies das Gericht darauf hin, dass bei einer derart kurzen Therapiedauer von einer erheblich erhöhten Rückfallgefahr auszugehen sei.

Grundsätzlich folgt das BAG auch beim Thema „Alkohol“ seiner generellen Rechtsprechung zu Suchterkrankungen, wonach vergleichsweise geringe Anforderungen an eine negative Gesundheitsprognose zu stellen sind. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind in diesem Zusammenhang folgende Grundregeln zu beachten: Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer vor dem Ausspruch einer Kündigung in der Regel die Möglichkeit zur Durchführung einer Entziehungskur zu gewähren. Ist der alkoholkranke Arbeitnehmer nicht zu einer Therapie bereit, besteht eine negative Gesundheitsprognose. Von einer mangelnden Therapiebereitschaft ist im Zweifel schon dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer die ihm bekannte Alkoholerkrankung gegenüber dem Arbeitgeber im Rahmen von Fehlzeitengesprächen mehrfach verheimlicht hat (BAG, Urteil vom 17.06.1999 – 2 AZR 639/98). Der Umstand, dass sich der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung nicht nach dem Gesundheitszustand – insbesondere nach einer gegebenenfalls bestehenden Alkoholerkrankung – des Arbeitnehmers erkundigt hat, führt für sich genommen noch nicht dazu, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt und infolgedessen rechtsunwirksam ist (BAG, Urteil vom 25.11.1982 - 2 AZR 140/81). Auch bei Kündigungen, die im Zusammenhang mit Alkohol stehen, gilt die von der Rechtsprechung aufgestellte Regel, dass krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit die Gefahr künftiger Fehlzeiten indizieren können, wenn dem nicht die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entgegenstehen (BAG, Urteil vom 23.06.1983 – 2 AZR 15/82). Die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten kann der Arbeitnehmer dadurch erschüttern, dass er gegenüber dem Gericht unter Hinweis auf objektive Fakten erläutert, warum in seinem Fall trotz der aufgetretenen Fehlzeiten mit einer baldigen Genesung im Sinne einer stabilen Alkoholabstinenz zu rechnen gewesen sei (BAG, Urteil vom 06.09.1989 - 2 AZR 19/89). Die Anforderungen an einen solchen Sachvortrag des Arbeitnehmers sind wegen der bekannten Rückfallgefahr bei der Alkoholkrankheit relativ hoch (BAG, Urteil vom 17.06.1999 – 2 AZR 639/98). Der Arbeitnehmer hat die Behauptungen des Arbeitgebers zur negativen Gesundheitsprognose zu bestreiten und seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Gleichzeitig muss er substanttiert vortragen, dass die Ärzte ihm gegenüber die künftige gesundheitliche Entwicklung als günstig beurteilt hätten. Eine solche günstige Entwicklung bescheinigen Ärzte unter Bersücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls in der Regel dann, wenn der Alkoholkranke eine geeignete Therapie begonnen oder bereits abgeschlossen hat, weil dies zu einer deutlichen Verminderung der Rückfallgefahr führt. Hatte sich der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung bereits einer geeigneten Langzeittherapie unterzogen und ist er trotzdem wieder rückfällig geworden, so ist nach der bisherigen Rechtsprechung prinzipiell von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen.

Nach den neusten medizinischen Erkenntnissen gehört der Rückfall allerdings zur Alkoholkrankheit, denn viele Alkoholiker benötigen einen oder mehrere Rückfälle, bis sie endlich akzeptieren, dass sie mit dem Suchtmittel nicht kontrolliert umgehen können. Noch vor einem Jahrzehnt gab es so gut wie keine seriösen Untersuchungsergebnisse über die Rückfälligkeit von alkoholsüchtigen Menschen. Die Rückfallforschung steckt auch heute noch in den Kinderschuhen. Inzwischen liegt allerdings eine Reihe von abgesicherten Ergebnissen zu Häufigkeit, Verlauf, Entstehungsbedingungen, Folgen und Maßnahmen zur Vorbeugung von Rückfällen vor. Diese Forschungsergebnisse sind von großer Bedeutung, weil Rückfälle dadurch in einem ganz neuen Licht erscheinen und unzeitgemäße Erkenntnisse über die Rückfälligkeit ins Schwanken geraten. Das in der Psychiatrie bislang häufig angewandte V-Schema charakterisiert einen Idealverlauf, der in der Realität äußerst selten anzutreffen ist. Der Rückfall als Unterbrechung des Aufwärtstrends ist in dieser vereinfachten schematischen Darstellung leider nicht vorgesehen. Immer mehr Fachleute gehen deshalb heute so weit, die oberflächliche Verwendung des V-Schemas als schädlich anzusehen, da dadurch unrealistische Erwartungen hervorgerufen und Enttäuschung, Schuldgefühle und Resignation regelrecht vorprogrammiert werden. Das V-Schema führt nämlich dazu, dass der Patient seinen Rückfall als Rückschritt und damit als Versagen wahrnimmt. Zwischen einem schweren Rückfall, einem Ausrutscher (sog. „Vorfall“), einem trockenen Rückfall und dem kontrollierten Trinken gibt es beträchtliche Unterschiede. Rückfallzeitpunkte und Rückfallverläufe können sehr variabel sein. Neuste Statistiken belegen, dass Rückfälle selbst nach intensiver stationärer Behandlung auf lange Sicht eher die Regel sind und nicht die Ausnahme bilden. Oft genug hat ein Rückfall auch „heilsame“ Wirkungen, weil der Alkoholkranke erst infolge seines „Scheiterns“ erkennt, dass ihm ein kontrollierter Alkoholkonsum nicht möglich ist. Diese Erkenntnis ist oftmals der erste Schritt in eine dauerhafte und glückliche Abstinenz, so dass viele Experten inzwischen folgende These aufstellen: Ohne Rückfall keine stabile Veränderung! Diesem Umstand tragen inzwischen auch immer mehr Arbeitsgerichte Rechnung. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das in jeder Hinsicht lesenswerte Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 17.08.2009 – 10 Sa 506/09.